Harzwelle vom 23.11.2017 von DG-Wellenflieger Martin
Schon im Fußgänger-Wetterbericht am Wochenende deutet sich ein guter Harz-Wellentag gegen Mitte der kommenden Woche an. Gespannt werden die Vorhersagen beobachtet, der Donnerstag (23.11.2017) bleibt mit jedem weiter rückenden Tag der aussichtsreichte Wellen-Flugtag. Am späten Mittwoch Nachmittag fällt dann die Entscheidung nach Aschersleben loszufahren, auch wenn es vielleicht nur ein einziger gut fliegbarer Tag wird.
Die Unterkunft auf vier Rädern beginnt Donnerstag Nacht, gegen drei Uhr früh morgens, mit dem auffrischendem Wind leicht zu schaukeln. Uh, wenn der Wind weiter so zunimmt … hoffentlich wird das ein sicher durchführbarer Flugtag. Das Schaukeln im Wind verstärkt sich bis sechs Uhr früh, wobei die weiche Schlafplatz-Federung die Verunsicherung verursacht hat:
Vor der Tür ist der Wind gar nicht so stark wie angenommen, gute 25-30 km/h sind es allerdings 🙂
Bei dem Rundgang um die Hänger-Abstellplätze in der beginnenden morgendlichen Dämmerung ist der (genauer gesagt „die“, hallo Sarah) erste schon am Anhänger lüften!
Nu aber in die Heizsocken, das hat mich derart angespornt, dass Rasur und Frühstück ersatzlos ausgefallen ist.
Ein Apfel und eine große Tüte wabbeliger Gesundheits-Öko-Kekse wurden mir dankensweiser noch direkt vor dem Start in die Kommandokapsel gereicht.
Nach dem Eigenstart gegen 10 Uhr (alle Zeiten = Ortszeit) wirkte in knapp 300m AGL schon derart viel Gegenwind, dass auf einmal eine negative Grundgeschwindigkeit angezeigt wird, das beste Steigen wurde daher etwas mehr in Richtung „vom Flugplatz weg bewegen“ getauscht.
In 800m war dann gerade mal der östliche Stadtrand von Aschersleben erreicht.
In etwa 1350m, immer noch über Ascherleben Stadt, wurde der Motor abgestellt.
Die typische, erstgelegene Welleneinstiegs-Stelle am Windpark funktionierte leider nicht zum Höhengewinn.
Also mit insgesamt relativ wenig Sinken weiter Richtung Ballenstedt vorgeflogen, das Sinken verringert sich stetig. Etwa 12 km vom Startplatz entfernt, in knapp 850m dann endlich +/-0 m/s, und noch etwas weiter, direkt in der östlichen Ballenstedter Platzrunde … juhu, die ersten 0,1m/s im Plus :-)))
Langsam aber recht sicher, fast direkt über dem Flugplatz Ballenstedt, auf etwa 1.800 hochgehangelt, ab dieser Höhe wollte die DG mit mir dort nicht weiter steigen.
Was Karl-Heinz mehrfach beschrieben hat, war sinnvoll: Weiterfliegen, also gar nicht gleich so richtig hoch und dann noch mehr gegen den Wind ankämpfen, sondern langsam in tieferen Etagen vortasten. Eine deutliche Umströmung, also eine Ost-Windkomponente war allerdings auf meinem Flugweg nicht festzustellen.
So manches Vortasten gen Westen endete mit einer Umkehr, die mich jedes Mal wieder deutlich höher brachte. Ab guten 2.000m ging es auf verlässlichen Linien ruck zuck auf 3.000m und dann deutlich weiter Richtung Brocken.
Das Wellenfenster für den Einflug oberhalb 3000m wurde geöffnet und zur eigenen Belohnung durften die ersten Elektronen durch die Kupferlackdraht-Windungen der Heizsocken schlendern … und die Füße anwärmen 🙂
5-8 Watt Gesamt-Heizsockenleistung reicht übrigens für zwei sich wohl fühlende warm-heiße Füße in Isoschüchen.
Mit 0,5-1,2 m/s waren 5.000m schnell erreicht. Bei auf bis zu 3 m/s zunehmendem Steigen ruck zuck auch 6km Höhe.
Der Höhenwind war nicht so stark wie der Flugweg auf den ersten 5km vermute ließ, die Windgeschwindigkeit lag im Höhenband von 3.000-6.000m bei etwa 95km/h aus 230 Grad.
Der Höhen-Nachschlag kam noch, nach FL200 wurde die Maximalhöhe sogar noch zu FL230 aufgehübscht, danke liebe DFS für den Service!
Nun durften wir uns im Wellenfenster bis knapp 7.000m Höhe vergnügen :-)))
In gut 6.500m war noch großflächig 1-2 m/s Steigen vorzufinden, fast das ganze Wellenfenster beinhaltete durchgängige Steig-Linien, es würde mich sehr wundern, wenn nicht auch weitere 1-2 (3?) Tausend Meter drin gewesen wären.
Die Vorbereitungen dazu waren alle getroffen, leider war die Wellenflugcheckliste in einem Punkt unvollständig: Es war keine Fotoapparat an Bord, oh wie schade! Aber anders als in Wolken-Bilderbüchern hätten die eigenen Fotos wohl auch nicht ausgesehen.
Es war sehr sehr schön da oben, auch schön kalt, was man schon vorher ahnt, wird auch bestimmt so eintreten:
Der Trinkwasservorrat friert Dir ein, der Trinkschlauch selber (bzw. dessen Inhalt) dummerweise schon viel eher.
Die zwischenzeitlich saphierhart gefrorenen Öko-Kekse hingegen schmeckten + knusperten in diesem ungewohnten Aggregatzustand hervorragend, dem Hersteller werde ich einen entsprechenden Tiefkühl-Serviervorschlag schicken.
Was den ungetrübten Blick nach draußen bremste, war der nicht händisch zu entfernende eisige Beschlag im hinteren Drittel innen an der Haube. Das Wettergeschehen erschien mir, von Sicht, Wolken und relativer Feuchte her, recht trocken, daher war ich über den so deutlichen Beschlag verwundert.
Die kontinuierliche Aufzeichnung mit geeichten Sensoren ergab eine Tiefsttemperatur von etwa -25 Grad Celsius, bei teilweise unter 20% rel. Luftfeuchte.
Trotz der geringen Luftfeuchtigkeit war die Vereisung innerhalb der Haube nur mit fast voll geöffneten Lüftung (typisch erst ab +15 Grad zu öffnen) gerade noch so in dem Griff zu bekommen.
Dabei bin ich in absolut trockenen Schuhen und Klamotten eingestiegen, es gibt auch so Matsch-Tage mit klammem Zeugs, daraus hätte sich noch viel mehr Beschlag bilden können.
Also, immer so „trocken“ wie möglich in das Flugzeug einsteigen!
Das nächste Mal wird auf jeden Fall ein viel dickerer Anti-Atembeschlag-Schal verwendet. Ob das dann bei „feuchteren“ atmosphärischen Umgebungsbedingungen reicht, wird sich zeigen.
Mit der Tiefst-Temperatur haben wir bei der den Tag in der relativ warmen SW-Strömung noch recht freundliche Werte gehabt, die hätte auch noch deutlich tiefer sein können.
Als in möglichst allen Lebenslagen sehr vorsichtiger Mensch sind mir die wesentlichen Wellenflug-Gefahren hoffentlich bewusst.
Rotoren, die außergewöhnliche Höhe, die O2-Versorgung, die Kälte (auch für das Flugzeug!), und nicht zu vergessen die Landung bei vielleicht böen-durchzogenem Seitenwind … und noch nicht vollständig enteistem Flugzeug!
Vereisung???
Gegen 16 Uhr in FL200 bei Wernigerode, hat bei mir urplötzlich irgend wer innerhalb von einer Minute die Handbremse voll angezogen:
Es rappelt wie mit unrunden und rauen Bremsen eines afrikanischen VW-Transporters … und es geht mit 2-3 m/s nur noch abwärts!!!!
Ein etwas verstörter Blick nach draußen brachte schnell Klarheit, nein, Rauheit: Alle erkennbaren Flugzeugteile sind mit Mattlack überzogen! Der Blick nach vorne raus ist durchgängig klar … zum Glück.
Das Flugzeug lässt sich nur noch wie eine überreife Pflaume steuern, das alte Profil ist bekanntermaßen extrem! empfindlich gegenüber jeglicher Verunstaltung, wie Fliegen und Mücken (auch ohne Helm), Regen oder obigem Raureif.
Ich bin nicht in eine Wolke eingeflogen, die von Westen einschwappende Luftmasse (es gibt ein tolles Zeitraffer-Video der Bewölkung vom Brocken aus) war wohl plötzlich deutlich feuchter als den ganzen Tag zuvor, merklich wolkiger und dunstiger war es in der Höhe schon geworden, eine ganz wichtige erste Warn-Erkenntnis.
Es war auch das erste Mal den Tag, dass ich Schichtbewölkungen auf dem Flugweg durch das Wellenfenster ausweichen musste (zweite zukünftige Warnung).
Nun also irgendwie runter eiern, bis es hoffentlich wieder rechtzeitich wärmer wird. Ein baldiger Abstieg war wegen der fortgeschrittenen Tageszeit eh geplant, allerdings nicht so abrupt.
Etwas anderes als „absaufen“ blieb mir im Moment auch gar nicht übrig.
Das Flugzeug war erst in etwa 3.000m wieder vollständig enteist und gleichzeitig blitzeblank trocken, die Temperatur auf dem Abstieg war bis dahin noch durchgängig negativ. Die Rauheis-Schicht hat sich somit komplett durch Sublimation abgebaut.
Bei vorherigen Wellenflügen habe ich schon erlebt, dass kleinstes Glitzerzeugs (im Sonnenlicht blitzende Eiskristalle) Minuten lang ohne jede Anhaftung an einem vorbeigesaust ist, natürlich weit weg von Wolken.
Was ist daraus alles zu lernen???? Den Punkt Vereisung im DWD-Flugwetterbericht habe ich bisher immer als jaja abgetan 😉
Wie wird man da ganz oben den Reif wieder los??? Noch ungeklärt 🙁
Schneller fliegen? Das hat, außer dem Vario im Negativanschlag schon bei 140 km/h, nichts gebracht.
Genauso wenig wie die Mückenputzzies laufen zu lassen, irgendwie auch logisch, dass der Putzfaden über den Reif einfach nur so rüber huscht.
Eine Landung in zugeeisten Zustand und dann noch böigen Seitenwind möchte ich mir gar nicht vorstellen, eine Bodentemperatur in deutlichen Plusgraden (zweistellig?) muss man für sich in Zukunft vielleicht immer voraus setzen.
Die den ganzen Flug laufende Daten-Aufzeichnung, wie Temperatur, Feuchte, IAS, TEK, Höhe usw. wird von Jörg Dummann dankenswerter Weise noch genau unter die Lupe genommen, über die Ergebnisse einer möglichen Vereisungs-Vorwarnung werden wir ganz sicher noch berichten.
Auf jeden Fall haben wir nun eine Luftparameter-Konstellation als Musterbeispiel, die ich bestimmt zur Programmierung einer permanent wachenden „Vereisungs“-Warnung verwenden kann.
Ob das dann in vergleichbarer Situation etwas bringt, ist noch eine ganz andere Frage.
Eis-Fett oder Fetteis?
Beim Abrüsten waren die Hauptbolzen nach dem Ziehen rückseitig mit strahlend weißem Fett versehen. Wer benutzt denn sowas feines!?
Aha, es war vom hinten überstehenden Bolzen abgeschabtes Eis!
Sauerstoff:
Für den gut 6 Stunden langen Flug, vorwiegend oberhalb 6000m, habe ich 240 Liter O2 verbraucht.
Das Finger-Oximeter hat hervorragend funktioniert, eine extra verrückte Nasenbrille … und verlangsamte Atmung: Erstaunlich, innerhalb 10 Sekunden wurde eine Unterschreitung der O2-Sättigung unter 90 mit lautstarkem Alarm signalisiert.
Wer ein paar Euro mehr für das Oxymeter ausgibt, kann nach dem Flug seine O2-Blutsättigung und den Puls als Kurve vom Gerät herunter laden, eine hervorragende Kontrolle dieser Leistungsparameter in der Höhe. Ein plötzlich gesund erhöhter Puls zeigt übrigens deutlich das Einsetzen der Vereisung 😉
Rosa Ausfallerscheinungen habe ich nicht ansatzweise bemerkt, obwohl der Bordcomputer immer wieder kleinen Aufgaben (Totmann-Task) zur „Voll-Da-Kontrolle“ stellte.
Hunger gab es keinen, dafür war der Flug zu spannend und entspannend zugleich, der Durst hielt sich erstaunlicher Weise sehr in Grenzen. In weiser Voraussicht bekommt der Trinkwassertank in Zukunft auch einen Heizsocken untergelegt und der Trinkschlauch eine Isolierung.
Der Flug hat eine riesen Freude gemacht, ein wirklicher Unterschied zwischen 4.500 und knapp 7.000 Metern war nicht deutlich zu erkennen, so nah ist man dem Weltraum so ganz alleine … eher selten.
Der Höhenmesser sah ab und zu „kaputt“ aus … „wo isn der annere Zeiger, ach-da“ ;-)))
Die Wetterparameter vom 23.11.2017 sind auf jeden Fall für zukünftige Wellenplanungen ordentlich erfasst.
Irgendwer fragte noch, ob schon jemand probiert hätte, in die Sekundärwelle einzufliegen. Damit sollte man sich allerdings im Team schon einen Abend vorher beschäftigt haben, dann bei nächster Gelegenheit!
Es war ein hyper-genial-toller Flugtag bei Euch, der wieder gezeigt hat, dass man immer noch dazu lernen muss.
Mit der am Boden vergessenen Kamera konnte meine liebste Begleitung zumindest noch ein Landefoto als Erinnerung an den ober-cooolen Höhenflug machen:
Viiiielen vielen Dank an Wolfgang und sein tolles-Team (incl. dem Flugplatz-Golf, so einen ähnlichen hab ich auch noch), auf jede Bitte wird sofort und ohne Murren mit einem Lächeln eingegangen :-)))
DG-Wellenflieger Martin