10 Jahre Harzwellenflug
Auch in der thermikarmen Jahreszeit lassen sich raumgreifende Flüge mit Segelflugzeugen durchführen! Den Beweis dafür lieferten die Leewellenspezialisten, die nunmehr seit fast 10 Jahren aus ganz Deutschland nach Aschersleben kommen, um hier in der kalten Jahreszeit – also im Herbst und im Winter – ausgedehnte Höhenflüge im Lee des Harzes bei Südwestwind durchzuführen. Diese Flüge sind möglich, weil der Harz bei starkem SW-Wind auf der Nordostseite eine Schwingung der überströmenden Luftmasse auslöst. In dieser „Leewelle“ können die Segelflugzeuge beachtliche Höhen erreichen und den Harzrand auf seiner gesamten Ost-West-Ausdehnung befliegen.
Im letzten Jahrzehnt ist der Harz so wieder in den Fokus der Leewellenspezialisten gerückt. Vor der politischen Wende im fliegerisch problematischen Grenzbereich zwischen Ost und West liegend und damit fast zum segelfliegerischen Niemandsland degradiert, können dem Harz nun wieder seine „Geheimnisse“ und fliegerischen Möglichkeiten entlockt werden.
Dazu hat sich eine sehr engagierte Gruppe von Segelfliegern – vor allem aus Aschersleben stammend – zusammengefunden, die sich einerseits um die Förderung des Leewellenfluges durch den „Ascherslebener Leewellenpokal“ bemühen (vergl. Abbildung 10), andererseits aber auch die wissenschaftliche Erfassung des Leewellenphänomens durch das Harz-Föhn-Projekt vorantreiben.
Zur Geschichte des Projektes:
Laut Wetterstatistik herrscht am Brocken an 219 Tagen im Jahr West- bzw. Südwestwind (siehe auch: Hentschel, G. „Das Föhngebiet des Harzes“ Akademie-Verlag-Berlin 1953). Sieht man sich die Herbst- und Wintermonate genauer an, so ist hier sogar die vorherrschende Windrichtung Südwest mit durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von über 50 km/h.
Diese Tatsachen sind gute Voraussetzungen für die Entstehung von Leewellen am Nord- bzw. Ostharz und so gibt es bereits frühe Berichte zur fliegerischen Nutzung des Leewellenphänomens am Harz:
Am 1.12.1937 um 10.16 Uhr startete ich von Quedlinburg mit einer He 72 zu einem Probeflug, der mir den Grund der Böigkeit erklären sollte…
Bei diesem Wetter konnte es keine Bodenthermik sein, so führte mich mein Flugweg in gewöhnlicher Runde um den Flugplatz…
Zwischen den Orten Ballenstedt und Rieder nahm ich in 500m Höhe das Gas ganz weg und schaltete die Zündung aus…
Mit 110km/h laut Staudruckfahrtmesser flog ich von hier über den Flugplatz bis zu dem Dorfe Weddersleben und fühlte, wie ich stetig stieg. Von der Böigkeit, die bis 300m sehr stark war, war nichts mehr zu bemerken. Vollkommen ruhig stieg ich bis auf 700m, die ich über Weddersleben erreichte.
Diese freie Schilderung eines Leewellenfluges von Werner Fick mit einem (zeitweise segelnden) Motorflugzeug, später veröffentlicht in „Der deutsche Sportflieger“ 3/1938, S.17 und nunmehr auszugsweise nachzulesen bei http://www.mittelgebirgsleewelle.de , ist einer der wenigen Berichte eines frühen Leewellensegelfluges am Harz.
Ein weiterer Bericht, der schon die gezielte segelfliegerische Nutzung der Leewelle am Harz beschreibt, stammt von Werner Bretfeld:
Am 18. Januar 1943 war vom Flugplatz Wernigerode aus Wellensegeltag. Besonderheiten: Beginn des Steigens bei 200 m (also aus der Winde), gleichmäßig um 2 m/sec, kein Rotor, höchste erreichte Höhe: um 4 000 m.
Wetter: Mäßiger SW-Wind bei bedecktem Himmel.
Ich selbst war mit einer „Weihe“ in 20 min auf 2200m gestiegen
(Quelle: http://www.mittelgebirgsleewelle.de)
Neben diesen frühen fliegerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den besonderen Wettererscheinungen am Harz interessierten sich natürlich auch die „Deutsche Verkehrsfliegerei“ und Ende der 1930iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch der Wetterdienst der Luftwaffe für die besonderen Wetterphänomene am Harz. So wurde in einer groß angelegten Sonderuntersuchung der „Einfluss des Harzes auf Wetter und Witterung im Frühjahr 1936“ untersucht und nach der Auswertung von Leo Schulz 1939 in einem Sonderband des Reichsamtes für Wetterdienst veröffentlicht (vergl. Abb. 3). Das Harzgebiet wurde für diese Untersuchung mit einem Sondernetz von 250 meteorologischen Stationen überzogen, die zu festen Tageszeiten u. a. Windstärke und Richtung, Bewölkungsgrad, Sichtweite, Witterung und Witterungsverlauf incl. Niederschlagsart und -menge protokollierten. Aus diesen Untersuchungen entstanden z. B. auch Windkarten bei SW-Lagen mit hochinteressanten Beschreibungen von Föhneffekten.
Ergebnisse des Harz-Föhn-Projektes
Sehr viel später erwachte im Zuge der Wiedervereinigung das Interesse der Sportflieger am Harz erneut und Carsten Lindemann, selbst Meteorologe und passionierter Segelflieger, war einer der „Wiederentdecker“ der Harzwelle. In seinem Artikel „Bei Wernigerode wartet ein kräftiger Rotor – Leewellen im Mittelgebirge – mit der Kilo-Met über dem Harz unterwegs“; welcher in der Zeitschrift „DER LILIENTHALER“ 1/1999, (Organ der DAeC-Landesverbände Berlin und Brandenburg) veröffentlicht wurde (nachzulesen bei http://www.mittelgebirgsleewelle.de), bündelt er die fliegerischen Bemühungen um einen Leewellen-Neustart am Harz.
Fast gleichzeitig hatten auch die „Anrainer-Flugplätze“ den Harz für Flüge im Herbst und Winter wiederentdeckt. So gab es in den frühen 1990iger Jahren eine Vielzahl, leider häufig nur mündlich überlieferter Wellenflugerlebnisse, u. a. von den Startflugplätzen Ballenstedt, Goslar, Aue-Hattdorf, Wolfenbüttel, Braunschweig und natürlich von Aschersleben.
Die Lage des Flugplatzes Aschersleben zum Harz und seine günstige Ausdehnung, die auch bei Starkwindlagen aus Südwest einen fast reibungslosen Start- und Landeablauf gewährleistet, trotzdem aber die Welleneinstiegspunkte gut erreichen lässt, machten diesen mehr und mehr zum Zentrum der Wellenflugaktivitäten am Nordostharz.
Von hier aus begann nun die systematische Erfassung der Leewellenstandorte in Abhängigkeit von den Variationen der Hauptwindrichtung.
Als Voraussetzung für die Entstehung von Leewellen am Harz gilt allgemein, dass die Hauptwindrichtung ab etwa 500 m Höhe über Grund bis über 500 hPa (5500 m) 210° +/-30° betragen sollte, dabei sollte die Windgeschwindigkeit unten mindestens 50 km/h und oben 65 bis 90 km/h betragen.
Neben den Windverhältnissen sollte die in Abbildung 4 dargestellte Besonderheit, nämlich eine Inversion von etwa 1°-2° Temperaturzuwachs auf 100 bis 200 m Höhenzunahme oder zumindest eine stabile Schichtung zwischen 1300 und 2200 m Höhe NN vorhanden sein
(Quelle Lindemann, C. „DER LILIENTHALER“ 1/1999) .
Wenn man sich die in den Abbildungen 4, 5 und 6 dargestellten Flüge im Lee des Harzes bei Südwestströmung anschaut, so fällt die enge räumliche Orientierung zum Relief auf. Die Abbildung 5 deutet darauf hin, dass die meisten Flüge in der ersten Wellenschwingung (Primärwelle) durchgeführt worden sind. In der Abbildung 6 sind zwei Hauptsteiggebiete (mit einem hellblauen und roten Zylinder markiert) zu erkennen. Das heißt der Welleneinstieg findet häufigan ganz bestimmten Stellen statt, die von den Piloten auch gezielt angeflogen werden können. Eine Ursache für die Einstiegsorte (Fahrstühle) in die Welle ist natürlich die Nähe zu Startflugplätzen. Bei der genaueren Betrachtung der meteorologischen Parameter während der Flüge und unter besonderer Berücksichtigung der Windverhältnisse fiel aber auf, dass unabhängig vom Startflugplatz bei den Flügen mit dem Einstiegsort Unterharz westlich von Aschersleben (hellblau) eine stärkere Westwindkomponente auf Brockenniveau vorhanden war, während beim Einstieg im Brockenlee des Oberharzes eher Südwest- manchmal sogar Südwind vorherrschte.
Die Feststellung, das die Abweichung von der optimalen Anströmungsrichtung (210 Grad) nach Süd oder West einen Einfluss auf die qualitative Ausprägung der Leewelle und damit auch auf die Position der Einstiegspunkt hat, führte nicht nur zu flugtaktischen Überlegungen, sondern auch zur Entwicklung einer Vorstellung von der Lage dieses schwingungsfähigen Systems im Raum.
Bei allen weiteren Flügen und deren Nachbereitung wurde nun Wert auf die Erfassung von Änderungen der Hauptwindrichtung im Flugverlauf gelegt.
Am 27.12.2003 und am 28.12.2003 konnte ich an zwei aufeinander folgenden Tagen von Aschersleben aus mit meiner PW 5 zwei Wellenflüge durchführen, die und das sei schon vorweggenommen, die bisherigen Erfahrung und Erkenntnisse zur Wellenverlagerung in Abhängigkeit von Veränderungen der Hauptwindrichtung bestätigen konnten.
Zunächst zum Flug vom 28.12.2003 hier der Bericht
(ausführlicher nachzulesen bei http://www.mittelgebirgsleewelle.de):
Am Sonntag (28.12.) herrschte in Aschersleben am Platz wieder die typische Windsituation mit Süd- bzw. leichtem Südostwind. Da der Wind in der Höhe deutlich auf Süd geprägt war (vergl. Abb. 1) ahnten wir bereits beim Start auf der 11 das es ein längerer Schlepp werden würde.
So war es dann auch, nach 18 Minuten Schleppzeit mit kleinen Steiggebieten unterwegs kuppelte ich ca. 4 km östlich des Flugplatzes Ballenstedt in knapp 2000 m Höhe aus. Die Steigwerte betrugen nach dem Einflug in das laminare Steigen zwischen 1,5 – 2,0 m/sec. Vom Flugplatz Aschersleben aus wurde die Öffnung des Wellenfensters bis FL 200 mit der Flugüberwachung koordiniert. Da bis zur Aktivierung des Wellenfensters noch 30 Minuten überbrückt werden mussten, hatte ich mich entschieden konsequent bis zum Brocken vorzufliegen. Aus früheren Flügen war bekannt, dass bei dominierender Südwindkomponente direkt im Lee des Brockens auch in niedrigeren Höhen Wellenanschluss möglich war. Darauf hatte ich mich einfach verlassen.
Am Brocken angekommen, gestaltete sich der Einstieg in die Welle etwas schwierig. Ich war deutlich tiefer als 2000 m und hatte bei dem zunächst schwachen Steigen Probleme mit dem Vorfliegen. Der Windversatz war so groß, dass ich die gewonnene Höhe beim Vorflug immer wieder opfern musste, ohne insgesamt höher zu kommen. Das Wellenfenster war inzwischen aktiv und über Funk meldete sich ein Falke nördlich Bad Harzburg in gutem Wellensteigen Nach dem 5. oder 6. Vorflug gelang es mir seitlich zu verlagern und Richtung Bad Harzburg abzufliegen. Ich fand im Geradeausflug gutes Steigen und ab diesem Moment war der Flug unproblematisch und ich versuchte das Wellenfenster so gut als möglich auszufliegen. Die größte Höhe wurde nord- bzw. nordöstlich von Wernigerode mit 4780 m erreicht.
Nun der Bericht vom Flug am Vortag
(ausführlicher nachzulesen bei http://www.mittelgebirgsleewelle.de):
Heute am 27.12.03 haben wir, mit Start in Aschersleben, das Wellenfenster am Nordharz aktiviert. Es waren schwierige Bedingungen aber es wurde ein wunderschöner Flug. Mit der PW-5 konnte ich schon in ca. 600 m ausklinken ( in Platznähe Aschersleben) und bin dann entlang der Lenti, die bis Blankenburg das Wellensteigen markierte, gegen den Wind vor geflogen. Der Höhenwind war sehr stark und deutlich auf West drehend. Ich schätze 90 km/h aus 250 Grad ! Ca. 3 Stunden in der Welle mit ganz interessanten Wetterbildern und einer max. Höhe von knapp 3000m.
Durch den Vergleich der beiden Flüge bestätigte sich das bereits beschriebene Phänomen der Verlagerung der Wellensysteme infolge größerer Abweichungen von der optimalen Hauptanströmungsrichtung. Dreht der Wind im Gipfelniveau des Brockens zu stark auf West (am 27.12.03 bis 250 Grad) verlagert sich das System hin zum Unterharz. Bei optimaler Anströmung (210 Grad) schwingt die Welle im Lee über die gesamte Längsausdehnung des Harzes (vergl. Abb. 9), dreht der Wind noch weiter auf Süd ist nur noch im Lee des Brockens (nordwestlich davon) mit einem schwingungsfähigen Wellensystem zu rechnen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.
Es wurden aus einer Vielzahl nachbereiteter Wellenflüge und an zwei exemplarischen Beispielflügen die Verhältnisse am Unter- und Oberharz bei deutlichen Abweichungen von der optimalen Windrichtung zur Wellenbildung am Harz diskutiert und daraus mögliche Einstiegspunkte abgeleitet.
Daraus ergeben sich für den für den Segelflieger folgende Hinweise zur praktischen Flugdurchführung:
Bei ausgeprägten Westwindlagen bis ca. 240 Grad (darüber ist ein Anschwingen kaum möglich) und ausreichender Anströmungsgeschwindigkeit findet man im Lee des Unterharzes eine größere Zahl von Steiggebieten mit eher geringen Steigwerten (bis 0,5 bis max. 1m/sec). Die Einstiegshöhen sind relativ niedrig 600-800m. Es ist nicht selten vorgekommen, dass ein Einstieg aus der Ascherslebener Winde gelang. Die erreichten Höhen sind nicht sehr komfortabel und liegen meist unter 3000m. Ein Einstieg in die obere Etage gelingt meist nur durch einen Vorflug zum Brocken und einem nochmaligen Einstieg dort. Trotzdem sind die Steiggebiete des Unterharzes gut geeignet, um Höhe zu halten und weitere Vorflugversuche zu starten.
Bei Südwind (Südwest bis 200 Grad) und großen Windgeschwindigkeiten schwingt die Welle (Woge) fast über die ganze Längsausdehnung des Harzes (vergl. Abb. 9). Die Wellenwolke ist sehr deutlich erkennbar und markiert mit ihrer Vorderkante das Steiggebiet (vergl. Abb. 9). Der Einstieg ist meist nur im Brockenlee möglich. Im F-Schlepp von Aschersleben aus ist man sehr lange unterwegs und sollte nicht unter 2000 m ausklinken.
Dreht der Wind über Süd auf Südost (kommt selten vor – da die meisten Wellensituationen präfrontal vor Kaltfrondurchgang mit Westdrehung des Windes einhergehen), ist meist nur noch ein kleines Steiggebiet nordwestlich des Brockens auszumachen. Die „große Woge“ des Harzes bricht bei Ostkomponente meist schnell zusammen.
In diesem ersten Beitrag zum Harz-Föhn-Projekt wurde zur Erklärung der komplexen Verhältnisse bei der Leewellenentstehung und der Verlagerung der Steiggebiete am Harz zunächst bewusst ein „dynamischer Ansatz“ gewählt. Wir wissen, dass dieser Ansatz eine gewisse Vereinfachung darstellt, da im Zusammenhang mit der Qualität der Luftmasse auch hinsichtlich evtl. vorhandener Sperrschichten auch weitere wichtige meteorologische Parameter Beachtung finden müssen.
Die Leewellen sind äußerst komplexe Erscheinungen unserer Atmosphäre und sind in ihrer Entstehung und Veränderung immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Wir betrachten unser Harz-Föhn-Projekt auch als einen kleinen Baustein zur praktischen Beschreibung dieses Phänomens.
Getreu dem Leitsatz unserer jährlichen Leewellentreffen:
„Leewelle erleben und besser verstehen“ –
möchten wir am Ende dieses Artikels die Gewinner des Leewellenpokals der vergangenen Saison 2016/2017 vorstellen, die mit ihren Flügen und den dabei aufgezeichneten Daten ganz wesentlich zum besseren Verständnis dieser spannenden Thematik beitragen.